Hund, Katze, Kuh: Tierbilder im Tumblr-Blog Google Dog View
Von Carla Zoé Lilischkis und Leonard Schumann
Google Street View ist für viele Menschen für die Navigation oder das Betrachten fremder Orte kaum noch wegzudenken. Dabei entstehen neben Bildern von Straßen und Umgebungen auch Aufnahmen, die so nicht beabsichtigt waren. Eine Art dieser unbeabsichtigten Bilder zeigt der Tumblr-Blog Google Dog View. Der Blog sammelt Screenshots von Street-View-Aufnahmen von Hunden, doch dazwischen befinden sich wider Erwarten auch Bilder von anderen Tieren.
Um die Präsenz anderer Tiere neben den Hunden näher zu beleuchten, werden zwei Beispielbilder aus dem Blog analysiert. Die Forschungsfrage soll dabei lauten: „Wie werden andere abgebildete Tiere im Blog Google Dog View präsentiert im Vergleich zu Hunden?“
Als erstes wurde eine Aufnahme aus der Region Beja in Portugal ausgewählt, die einen kleinen schwarz-weißen Hund vor einer Garage zeigt. In der Analyse soll untersucht werden, wie die zufällige Anwesenheit des Hundes die Bildkomposition beeinflusst und welche Bedeutung dies für die Wahrnehmung der alltäglichen Umgebung hat. Dabei wird auch darauf eingegangen, wie die vermeintlich zufällige Fotografie des Hundes durch das Google-Street-View-Auto dennoch einen klaren Fokus im Bild schafft und welche Rückschlüsse dies auf die Wirkung von Zufall und Inszenierung in der Fotografie zulässt.
Als zweites Beispiel wurde eine Aufnahme von zwei Kühen neben einer schmalen Straße gewählt. Hier soll in der Analyse hervorgehen, welche Praktiken herauszulesen sind und wie die Kühe im Gesamtwerk des Blogs wirken. Außerdem wird der Aspekt des zufälligen Ablichtens mit dem absichtlichen Screenshotten, Sammeln und Veröffentlichen der Aufnahmen in Verbindung gesetzt.
Der Blog Google Dog View sammelt die Screenshots und reiht sie nach Datum von Neu nach Alt auf. Dabei liegt der Fokus auf den Bildern selbst, denn die Bildunterschriften sind klein und dezent, und es befinden sich keine Werbebanner oder andere Icons auf der Website. Sie ist auf ihre Hauptfunktionen reduziert und zeigt neben den Einträgen nur noch eine About-Seite, ein FAQ, ein Archiv und ein Formular, mit dem User Screenshots einreichen können.
Auf beide nachfolgenden analysierten Bilder lässt sich einleitend das Zitat „human actions are turned into images“ (Stiegler 2018, S. 5) in mehreren Punkten übertragen:
Erstens wird das Google-Street-View-Auto von einem Menschen gefahren, der vermutlich Anweisungen bekommen hat, welche Gebiete mit der 360-Grad-Kamera aufgenommen werden sollen. Das bedeutet, der Mensch gibt vor, wo Bilder gemacht werden sollen. Dadurch entstehen die Aufnahmen von Street View.
Zweitens, nachdem die Aufnahmen der Street-View-Kamera im Internet zur Verfügung stehen, können User/innen davon Screenshots machen aus unterschiedlichsten Gründen. Sie erstellen damit Bildschirmaufnahmen von bewusst ausgesuchten Orten, die sie als Screenshot abspeichern. Die Praktik des Screenshottens von bereits vorhandenen Aufnahmen erzeugt dann wiederum neue Bilder.
Drittens sammelt der/die Bloginhaber/in diese einzelnen Screenshots von Google Street View, was hier die Praktik darstellt, und veröffentlicht sie in einem dafür eigen erstellten Blog, wodurch ein Gesamtwerk bzw. ein Bildphänomen entsteht, das durch die Existenz der einzelnen Bilder gestützt wird.
Der Blog Google Dog View zeigt bewusst, dass solche zufälligen Fotos ein beliebtes Motiv fürs Screenshotten sein können. Es scheint der Aspekt der Unabsichtlichkeit und des Unverfälschten zu sein, für die sich User/innen begeistern. Der Tumblr-Blog führt Gegensätze mithilfe der vielen Screenshots aus Google Street View zusammen: Das Absichtliche, also das bewusste Sammeln von Hunde- und anderen Tierbildern, sowie das Zufällige, also die unbeabsichtigte Aufnahme von Tieren auf den Straßen der Welt. Auf die Entstehung und Inhalte der Screenshots wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen.
Hundbild
Ort: R. de Santa Madalena 22, 7780-342, Entradas, Beja, Portugal
Datum: 04.07.2017 (Tumblr), Februar 2015 (Google Maps)
Nachdem das Bild in der Stadt Beja in Portugal aufgenommen und erstmals im Februar 2015 auf Google Street View veröffentlicht wurde ist es am 04. Juli 2017 auf dem Tumblr–Blog Google Dog View gepostet worden.
Im Screenshot ist ein kleiner, schwarz-weißer Hund zu sehen, der vor einer Garage an einem Blumenkübel steht. Der Hund ist im unteren mittleren Bereich des Bildes scharfgestellt. Der Hund, der zufällig in der Google-Street-View-Aufnahme eingefangen wurde, zieht die Aufmerksamkeit auf sich und verleiht der Szene eine beinahe inszenierte Wirkung.
In Kontrast dazu zeigt die linke Bildhälfte eine geöffnete Garage, in der ein Auto steht. Im Hintergrund ist ein Fenster zu sehen, das Licht einfallen lässt. Das Dach ist mit typischen, südeuropäischen Dachziegeln gedeckt. Im Hintergrund sind weitere Gebäude zu erkennen, die in Stil und Material ähnlich wirken und auf eine einheitliche Architektur in der Region Beja hinweisen. Die rechte Bildhälfte zeigt einen Schotterhof mit einem roten Auto und herumliegendem Schutt, der auf unvollendete Bauarbeiten hindeutet.
Obwohl der Hund bei der routinemäßigen Kartierung durch Google Street View lediglich beiläufig aufgenommen wurde, wird er im ausgewählten Screenshot als zentrales Motiv hervorgehoben. Dies verleiht der Momentaufnahme eine neue Bedeutung, die ursprünglich nicht beabsichtigt war. Der Screenshot und das Hochladen auf den Tumblr-Blog Google Dog View veranschaulichen, wie zufällige Bilder durch gezielte Auswahl und Komposition eine neue Bedeutung erhalten können.
Des Weiteren sieht man auf diesem Screenshot von Google Street View die Ortsangabe und das Datum oben links eingeblendet, während die Stecknadel für den Ort in einer kleinen Kartenansicht unten links zu sehen ist. Mittig am unteren Rand ist das Google-Logo in Schwarz-Weiß erkennbar, und unten rechts befinden sich die Zoom- und Kompass-Buttons. Die unter dem Post gesetzten Hashtags dienen dazu, das Bild in verschiedenen Kontexten auffindbar zu machen und seine Sichtbarkeit in relevanten Suchanfragen zu erhöhen:
#DOGS, #DOG BLOG, #PETS, #ANIMALS, #ANIMAL BLOG
Diese Hashtags beziehen sich auf das Hauptmotiv des Bildes, den Hund, und machen den Beitrag in Tier- und Hundeblogs sichtbar.
#ENTRADAS, #ALENTEJO, #PORTUGAL, #GEOGRAPHY, #TRAVEL
Diese Hashtags verweisen auf den geografischen Standort des Bildes und sprechen Nutzer an, die sich für Reisen und Geografie interessieren.
#GOOGLE MAPS, #GOOGLE STREET VIEW, #STREETVIEW, #STREET VIEW
Diese Hashtags heben den Kontext hervor, in dem das Bild aufgenommen wurde, und richten sich an Nutzer, die sich für Google Street View und ähnliche Dienste interessieren. Die Kombination dieser Hashtags deckt sowohl thematische als auch geografische und technische Aspekte ab.
Um nachzuvollziehen, wie der Screenshot in Google Street View aufgenommen wurde, haben wir versucht, das Bild nachzustellen. Auf dem Screenshot des Google Dog View-Blogs war die Ortsangabe „9 R. de Santa Madalena, Beja District“ angegeben. Um den genauen Ort der Screenshot-Erstellung in Google Maps zu finden, mussten die Koordinaten erst durch das Navigieren in Google Street View ermittelt werden. Die exakten Koordinaten des Screenshot-Standorts lauten: 37°46’37.2″N, 8°00’46.3″W.
Zunächst haben wir nach Augenmaß versucht, denselben Vergrößerungsfaktor wie im Screenshot zu verwenden, um den Hund in derselben Größe darzustellen. Den Bildausschnitt im 360-Grad-Raum von Google Street View anzupassen, um eine ähnliche Position wie im Screenshot zu erreichen, erwies sich allerdings als schwierig, da sich die genaue Perspektive vor der Garage nicht einnehmen ließ. Es ist möglich, dass sich die Perspektive nicht exakt nachstellen ließ, weil Google Street View aktualisiert wird und Aufnahmen ersetzt oder gelöscht werden. Es könnte sein, dass die ursprüngliche Ansicht, die auf dem Screenshot festgehalten wurde, durch eine Aktualisierung nicht mehr vorhanden ist.
Die Google-Maps-Zeitreisefunktion, bei der man sich ältere Aufnahmen der Region anschauen kann, ist der Umgebung des erstellten Screenshots nicht verfügbar. Der eigene Screenshot direkt aus Google Street View im Browser erstellt, um einen vergleichbaren Ausschnitt zu erhalten.
Kuhbild
Ort: Osse-en-Aspe, Nouvelle-Aquitaine, Frankreich. 43°00’32.7″N 0°39’11.3″W
Datum: 22.07.2017 (Tumblr), August 2008 (Google Maps)
Der Screenshot zeigt eine Aufnahme von Google Street View, auf der zwei Kühe hinter ein paar Büschen neben einem Feldweg hervorschauen. Die Kühe befinden sich hierbei auf der linken Seite des Bildausschnittes und etwas erhöht auf einem Hügel, in der Mitte zieht sich der schmale Asphaltweg um eine Linkskurve. Das Bild weist viel Natur und Büsche auf, die auf beiden Seiten des Weges zu sehen sind.
Im Hintergrund sind begrünte Hügel zu sehen, die von einigen Nebel- und Wolkenschwaden verdeckt werden. Außerdem stehen rechts und links neben dem Weg Zäune, die den Feldweg von der Weide und dem Garten abtrennen.
Auf dem Screenshot von Google Street View befindet sich zudem die Ortsangabe und das Datum oben links sowie die Stecknadel für den Ort auf einer kleinen Kartenansicht unten links. Mittig am unteren Rand ist das Google-Logo zu erkennen. Unten rechts sind die Zoom- und Kompass-Buttons platziert.
Auf dem Blog ist der Screenshot mit einer Bildunterschrift versehen, die über den Ort der Aufnahme und das Datum der Veröffentlichung informiert. Zudem wurden verschiedene Hashtags gesetzt, die das Bild beschreiben.
Das Foto wurde im Ort Osse-en-Aspe in der Region Nouvelle-Aquitaine in Frankreich aufgenommen und im August 2008 auf Google Street View veröffentlicht. Der Screenshot wurde am 22. Juli 2017 auf dem Tumblr-Blog Google Dog View gepostet, der eigentlich Aufnahmen von Hunden gewidmet ist. Es ist auf dem Screenshot kein Hund abgebildet. Andere User zeigen sich in den Kommentaren unter dem Blogpost sichtlich verwundert: „THIS IS A COW“ (meh-kenna).
Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Blog um Aufnahmen von Hunden in Google Street View handelt, die in dem Blog kuratiert werden, ist es möglich, dass der Screenshot von den Kühen nebenbei entstanden ist, während eigentlich Hunden gesucht wurde. An dieser Stelle stellt sich jedoch die Frage, ob die Hunde absichtlich gesucht oder zufällig bei alltäglichen Google-Street-View-Anfragen gefunden werden.
Die Bildunterschrift des Kuhbildes fügt zuerst eine humoristische Phrase an: „Happy cudersday“ soll vermutlich auf das englische Wort „cud“ abzielen, welches die wiedergekaute Nahrung einer Kuh bezeichnet. Möglich ist außerdem eine Anspielung auf den Begriff „Caturday“ gemeint, bei dem an Samstagen Bilder von Katzen im Internet geteilt wurden. Diese Tradition des Teilens von Katzenbildern besteht bereits seit Mitte der 2000er Jahre. Oftmals handelt es sich bei den Postings an Caturdays um Katzen-Memes, sogenannten LOLcats.
Anschließend wird der Ort der Aufnahme genannt. In noch kleinerer Schrift darunter ist das Datum der Veröffentlichung auf Google Dog View vermerkt sowie sieben Hashtags, von denen nur einer in Bezug zu Kühen steht (#cows). Im Vergleich zu anderen Bildern auf derselben Seite fehlen unter dem Kuhbeitrag weitere tierbezogene Hashtags. Unter anderen Beiträgen findet man beispielsweise noch #dog blog oder #pets. Dies ist ein erster Indikator dafür, dass die Kühe hier eine Ausnahme darstellen und wesentlich seltener im Blog auftauchen als die zufällig von der Google-Street-View-Kamera abgelichteten Hunde. Im Blog jedoch sind die Hunde ein absichtlich ausgestelltes Motiv, wozu die Kühe dem Namen des Blogs zufolge eigentlich nicht zählen.
Die vorher aufgekommene Frage, ob nach den Hunden absichtlich gesucht wird oder sie bei alltäglichen Street-View-Suchen entdeckt werden, und wie es sich mit den Kühen dabei verhält, kann beim Betrachten des Blogs selbst nicht eindeutig beantwortet werden. Bei einer absichtlichen Suche nach Hunden, um die Bilder von ihnen als Beitrag auf Google Dog View hochzuladen, erscheinen Kühe als ein zufälliger Fund. Gleichzeitig ist es genauso möglich, dass alle Hundebilder zufällig gefunden wurden.
Die Option, über ein Formular auf der Website neue Screenshots einzureichen, legt zumindest nahe, dass sich manche User/innen absichtlich auf die Suche nach Tierbildern auf Google Street View machen, um einen Beitrag auf dem Blog veröffentlichen zu können.
Zuletzt ist nicht zu vernachlässigen, wie der Screenshot aufgenommen wurde. Wie beim Hundebild haben wir die Koordinaten, welche in der Bildunterschrift auf dem Blog zu finden sind, bei Google Maps eingegeben und den Standort der Kühe sofort gefunden. Der Bildausschnitt der bei der Suche erscheint, ist anders und weiter entfernt, als der Screenshot von Google Dog View. Versucht man mit dem Cursor etwas näher heran zu kommen, springt die Position der Kamera zu weit nach vorne, sodass das Bild nicht mehr mit dem Screenshot übereinstimmt.
Das Heranzoomen an die Kühe verbessert die Ähnlichkeit zum Originalscreenshot etwas, jedoch springt auch dort die Perspektive schnell vor und zurück. Die Aufnahme wird im Weitwinkel dargestellt. Die Position der Kühe hinter den Büschen hat sich jedoch nicht verändert. Im Gegensatz zum Hundebild stehen die Kühe hier jedoch nicht im Fokus, was den Fokus des Blogs auf Hunde nochmal bestärkt.
Fazit
Auf Google Street View sind Hunde und andere Tiere zufällig von der 360-Grad-Kamera aufgenommen worden. Allerdings werden sie auf dem Tumblr-Blog Google Dog View absichtlich gesammelt und veröffentlicht.
Die Kuration der Tierbilder ergibt zusammen mit den Bildbeschreibungen ein Gesamtwerk, nämlich den Blog Google Dog View. Dieser wird wie erwähnt hauptsächlich von den einzelnen Bildbeiträgen gestützt, doch die Texte unterstützen das Bildphänomen. Dazu gehören eben nicht nur Bilder, sondern auch der Kontext und die Erkenntnis, dass zufällig entstandene Bilder absichtlich an einem Ort gesammelt und veröffentlicht werden. Die Kuration stellt eine Praktik dar, die aus bestehenden Aufnahmen neue Bedeutungen erzeugt.
Anhand dieses Beispielbildes wurden drei Punkte klar, an denen sich die These “human actions are turned into images” (Stiegler 2018, S. 5) übertragen ließ: Die menschliche Entscheidung darüber, wo die Street-View-Kamera Bilder aufnehmen soll, das Screenshotten von Street-View-Aufnahmen durch User/innen und zuletzt das Sammeln und Veröffentlichen dieser Screenshots im Blog, um daraus ein Gesamtwerk und Bildphänomen zu erschaffen. Teil des Gesamtwerks sind neben den Bildern auch die Bildunterschriften und Kommentare des/der Bloginhabers/in.
Das Bild des Hundes aus Beja verdeutlicht, wie zufällige Aufnahmen von Google Street View gezielt genutzt werden können, um neue Bedeutungen zu schaffen. Ursprünglich war der Hund in der Umgebung der Garage nur ein beiläufiges Element. Durch den bewussten Screenshot und die Präsentation auf dem Tumblr-Blog Google Dog View wird er zum zentralen Motiv gemacht. Diese Fokussierung hebt ein Detail hervor, das im ursprünglichen Präsentationskontext kaum Beachtung gefunden hätte. So wird aus einer alltäglichen Momentaufnahme ein neues Bild, das Aufmerksamkeit erzeugt. Das Beispiel zeigt, dass selbst routinemäßig erfasste Aufnahmen durch bewusste Auswahl eine tiefere Bedeutung und Aussagekraft erhalten können. Im Vergleich zum Kuhbild, das thematisch aus dem Rahmen des Blogs fällt, passt das Hundebild zur Ausrichtung der Tumblr-Seite.
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